Titelthema Wissenschaftsmagazin

Das Titelthema der Januar-Ausgabe 2021 des Magazins „bild der wissenschaft“ lautet „Zurück ins Leben“. In zwei Artikeln schaut das Wissenschaftsmagazin dorthin, wo sich eigentlich niemand aufhalten will: in die Intensivstationen. In „normalen“ Zeiten will wohl auch kaum jemand darüber lesen. Doch angesichts der Covid-19-Pandemie mag sich das geändert haben.

Andrea Stegemann, Chefredakteurin des Wissenschaftsmagazins, schreibt zum Titelthema: „Der Herbst brachte wieder steigende Fallzahlen, einen neuen (Teil-)Lockdown und von den Tagesmeldungen zunehend zermürbte Menschen. Wir richten unseren Blick in diesem Heft nicht auf die Diskussion um aktuelle Infektionszahlen, sondern dorthin, wo die Schwerkranken sind und wo es konkret ums Überleben geht.“ Man habe sich auf zwei Themen fokussiert: „was die Patienten auf einer Intensivstation erwartet und was bei der Beatmung geschieht, die bei der Behandlung von Covid-19-Patienten eine so große Rolle spielt.“

Für mich war die Recherche zu meinem Artikel „Atemnot“ belastend und zugleich begleitet von der Annahme, dass sachliches Hinschauen die Ängste eher nimmt als Verdrängen.

Es folgt ein Auszug aus dem Artikel. Wollen Sie mehr lesen? Dann können Sie das Wissenschaftsmagazin hier kaufen.

Bild auf die Ausgabe 1-2021 des Wissenschaftsmagazins bdw

Atemnot

Wenn das Atemen schwerfällt oder nicht mehr möglich ist, können Maschinen helfen. Doch trotz aufgefeilter Technik braucht es erfahrene Ärzte und Pflegekräfte, um die Patienten bestmöglich zu versorgen.

Mehr steht im Wissenschaftsmagazin „bild der wissenschaft“ 1-2021

Bei einer Wahl zum „Medizinischen Gerät des Jahres“ stünde der Gewinner 2020 wohl schon fest: das Beatmungsgerät. Nie zuvor stand es so im Rampenlicht wie in diesem Jahr der Corona-Pandemie. Die Medien und mit ihnen die Bevölkerung würdigten es mit Beginn der Krise als potenziellen Lebensretter und fürchteten, dass sein Bestand in Deutschland und weltweit knapp würde. Im Frühling riefen der König der Niederlande, der österreichische Kanzler und der Gesundheitsminister von Peru persönlich beim Vorstandvorsitzenden des Medizintechnik-Unternehmens Dräger, Stefan Dräger, an, um sich nach Beatmungsgeräten und Lieferkapazitäten zu erkundigen. Elon Musk, schillernder Chef des Elektroautoherstellers Tesla und des Raumfahrtunternehmens SpaceX, verkündete, die Produktion von Beatmungsgeräten aufnehmen zu wollen. Zahlreiche Unternehmen und Forschungseinrichtungen unter anderem aus Deutschland boten an, mithilfe von 3D-Druckern Ersatzteile oder einzelne Komponenten für die Geräte herzustellen.

Allerdings blieb die Wertschätzung für die künstliche Beatmung nicht lange gänzlich ungetrübt. So gab unter anderem die ARD-Fernsehsendungen Monitor unter dem Titel: „Beatmung von Covid-19-Patienten: Spiel mit dem Feuer?“ den Stimmen von Ärzten und einer Krankenschwester Raum, die mehr Zurückhaltung beim Einsatz der Geräte forderten und auf die Nebenwirkungen hinwiesen.

Damit nicht genug: Medienberichte, dass in New York fast 90 Prozent der beatmeten Corona-Patienten gestorben seien, stellten den Nutzen der Beatmung gänzlich in Frage. Dabei bezogen sich die Medien auf eine Studie von US-amerikanischen Ärztinnen und Ärzten im „Journal of the American Medical Association“ (JAMA). Allerdings erwies sich diese Zahlenangabe bald als irreführend, da sie die Patienten nicht berücksichtigte, die sich zum Stichtag 4. April 2020 noch im Krankenhaus befanden. Das waren mit rund 72 Prozent ein Großteil der Eingelieferten. Gestorben waren zu diesem Zeitpunkt 24,5 Prozent, gesund entlassen worden waren 3,3 Prozent.   

Um einordnen zu können, was Angaben über die Erfolgsaussichten einer mechanischen – künstlichen – Beatmung aussagen, muss man wissen: Wann setzen Mediziner Beatmungsgeräte bei Covid-19-Patienten überhaupt ein? Was genau bewirken die Geräte?

Dazu zunächst ein Blick auf den gesunden Menschen: Beim Einatmen ziehen sich das Zwerchfell und die äußeren Zwischenrippenmuskeln zusammen, wodurch sich der Brustkorb erweitert. Weil die Lunge elastisch ist und über das Brustfell am Brustkorb anhaftet, vergrößert sich ihr Volumen: Der Druck dort sinkt unter den Wert des Umgebungsdrucks, so dass Luft in die Lungenbläschen einströmt, die von feinen Adern umgeben sind.  Sauerstoff aus der eingeatmeten Luft geht von den Bläschen in das Blut über. Zugleich nimmt Kohlendioxid (CO2)den umgekehrten Weg. Aufgrund dieses Gasaustausches besteht die Einatemluft neben Stickstoff aus rund 21 Prozent Sauerstoff und lediglich Spuren von CO2, während die Ausatemluft nur rund 17 Prozent Sauerstoff, aber vier Prozent CO2 enthält. Anders als das Einatmen ist das Ausatmen überwiegend ein passiver Vorgang: Die Atemmuskulatur erschlafft, so dass sich der Brustkorb und mit ihm die Lunge verengt.

Sauerstoff rein – CO2 raus

Funktioniert der Gasaustausch in den Lungenbläschen nicht richtig, wie etwa bei schwer erkrankten Covid-19-Patienten, führt dies zur Atemnot. Einerseits fehlt dem Körper lebenswichtiger Sauerstoff, andererseits steigt der Gehalt des Kohlendioxids an, das der Stoffwechsel produziert. Der Körper versucht zunächst, den Sauerstoffmangel durch schnellere und tiefere Atemzüge auszugleichen. Dabei ermüdet der muskuläre Atemantrieb.

Sauerstoffzufuhr auf milde Art

Um Atemnot und Kurzatmigkeit auf recht milde Art zu lindern, haben Ärzte zwei Möglichkeiten. Bei der sogenannten High-Flow-Therapie leiten sie befeuchteten und erwärmten Sauerstoff über eine spezielle Nasenkanüle in den Patienten, und zwar mit einer sehr hohen Durchflussrate von bis zu 60 Litern pro Minute. „Das ist so ähnlich, als würde man den Kopf während einer Autofahrt aus dem Fenster strecken“, sagt Christian Hermanns, Notarzt und Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI).

Die zweite Möglichkeit: Die Patienten atmen über eine Maske oder einen Helm reinen Sauerstoff ein. Beide Verfahren bringen bei Infektionskrankheiten wie Covid-19 ein gewisses Risiko für das Krankenhauspersonal mit sich: Der Luft- oder Sauerstoffstrom transportiert nachweislich verstärkt Viren aus dem Rachenraum des Kranken in die Umgebung – beim Einsatz einer Maske allerdings nur, wenn diese nicht vollkommen dicht am Kopf des Patienten anliegt.

Beide Verfahren stoßen außerdem an Grenzen, wenn die Atmung des Betroffenen stark beeinträchtigt ist.

Invasive Methoden

Dann setzen die Mediziner auf Beatmungstechniken, bei denen sie dem Patienten einen Schlauch in die Luftröhre schieben, ihn also intubieren, oder bei denen sie einen Luftröhrenschnitt durchführen. Bei diesen Methoden, die sie als invasiv – eindringend – bezeichnen, gelangt der Sauerstoff direkt in die Lunge.

Diese besonders effektive Beatmung kann lebensrettend sein, bringt aber auch Nachteile mit sich: Die Ärzte müssen den Patienten mit einer Kombination aus Narkose- und Schmerzmitteln in einen Dämmerschlaf versetzen, der oft als künstliches Koma bezeichnet wird. „Ansonsten würde der Patient die Behandlung nicht tolerieren. Zugleich gilt der Grundsatz: Umso weniger man den Patienten dafür betäuben muss, umso besser ist es“, erläutert Götz Geldner, Ärztlicher Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie in Ludwigsburg.  Die Langzeitnarkose hat häufig unerwünschte Nebenwirkungen, etwa dass die Magen- und Darmmuskulatur erschlafft oder der Patient während und nach dem Erwachen stark verwirrt ist. Hinzu kommt, dass die invasive Beatmung insbesondere die Lungenbläschen überdehnen und Entzündungen verursachen kann.    

Immer eine Einzelfall-Entscheidung

„Allgemeine Parameter, die eine Beatmungspflichtigkeit (Intubation, Maske) anzeigen, gibt es nicht“, heißt es dazu im „Praxisbuch Beatmung“, herausgegeben von den Medizinern Ulrich von Hintzenstern und Thomas Bein. Und weiter: „Neben dem Atemmuster (Atemfrequenz, Atemtiefe) spielen die Blutgase sowie der Vigilanzstatus eine große Rolle.“

Aus der Fachsprache übersetzt heißt das: Die Ärzte müssen die Aufmerksamkeit (Vigilanz) des Patienten beurteilen. Denn Schläfrigkeit und Benommenheit zeigen an, wie stark ein mangelnder Gasaustausch in den Lungenbläschen den Patienten beeinträchtigt. Den CO2-Gehalt im Blut können Pflegende und Ärzte mit einem Analysegerät exakt bestimmen, genauso wie die sogenannte Sättigung mit Sauerstoff, dem anderen „Blutgas“. Der Wert der Sauerstoffsättigung gibt an, wieviel Prozent des Hämoglobins – der Farbstoff in den roten Blutkörperchen – mit Sauerstoff beladen ist. Beim gesunden Menschen liegt der Normwert zwischen 97 und 100 Prozent. Die Atemfrequenz liefert dem Arzt weitere Hinweise auf den Zustand des Patienten: Während Gesunde 12- bis 15-mal pro Minute atmen, schnappen Lungenkranke minütlich durchaus mehr als 30-mal nach Luft.

Obwohl die Ärzte also nur mit Blick auf das gesamte Krankheitsbild eine Entscheidung treffen können, ob und wie sie einen Patienten beatmen, so gibt es doch einige Grundsätze für ihr Handeln. Diese gehen aus verschiedenen Leitlinien hervor, die Expertengremien gemeinsam systematisch erarbeitet haben – nach Sichtung der entsprechenden Studien in der Fachliteratur. Demnach sollten Ärzte lungenkranke Patienten außer bei einem schweren akuten Lungenversagen zunächst möglichst nicht-invasiv beatmen, um die Komplikationen der invasiven Beatmung zu vermeiden. Allerdings sollte das Behandlungsteam dafür gerüstet sein, den Patienten sofort zu intubieren, sofern sich sein Zustand trotz der Sauerstoff-Gabe verschlechtert oder über Stunden hinweg nicht bessert.    

Wie viel übernehmen?

Haben die Ärzte einen Patienten intubiert, so stehen sie vor einer weiteren Entscheidung: Sollen sie – zumindest anfänglich – das Beatmungsgerät die gesamte Atemarbeit für den Patienten verrichten lassen?  Die Maschine gibt dann der Lunge Rhythmus und Tiefe der Atemzüge vor. Mediziner nennen das kontrollierte Beatmung.  Oder sollen sie stattdessen ein Beatmungsverfahren wählen, das die natürliche Atmung, die Spontanatmung, unterstützt?

Die Leitlinie von 2017 zur invasiven Beatmung bei akuter Atemschwäche lässt die Antwort offen: „Wir können derzeit keine Empfehlung für oder gegen die Ermöglichung einer Spontanatmung bei Patienten in der Frühphase – den ersten 48 Stunden – eines schweren akuten Lungenversagens geben“, heißt es dort. Zu dieser Form des Lungenversagens kann es bei Covid-19-Patienten kommen.

Entscheiden sich die Mediziner bei einem Patienten für die kontrollierte Beatmung, können sie wiederum zwischen verschiedenen Verfahren wählen: Bei der Volumen-kontrollierten Variante beispielsweise unterbricht die Maschine beim Einatmen des Patienten den gleichbleibenden Gasfluss, wenn das Volumen erreicht ist, das die Ärzte vorgegeben haben. Bei der Druck-kontrollierten Variante hält die Maschine dagegen während des gesamten Einatmens den Druck konstant, indem sie den Gasfluss immer weiter verringert. Auch bei dieser ärztlichen Entscheidung hilft die genannte Leitlinie nicht: „Patienten mit akuter respiratorischer Insuffizienz (akute Atemschwäche, d. Red.) können sowohl Druck- als auch Volumen-kontrolliert beatmet werden. Wir können keine Empfehlung für oder gegen eine der beiden kontrollierten Beatmungsformen abgeben.“

Zitate, Artikel „Atemnot“, Wissenschaftsmagazin „bild der wissenschaft“

„Gerade während der Corona-Pandemie ist zu beobachten, dass in Krankenhäusern mit viel Erfahrung in der künstlichen Beatmung die Überlebensrate besonders hoch ist.“

Christian Hermmans, Notarzt und Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Anästesiologie und Intensivmedizin

„Covid-19-Patienten profitieren enorm davon, wenn sie einige Male für 12 bis 16 Stunden auf den Bauch gedreht werden, während sie maschinell beatmet werden“

Prof. Götz Geldner, Ärztlicher Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie in Ludwigsburg

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