Warum ist nicht nichts?

Das fragen sich Physiker des Forschungszentrums Jülich in der neuesten Ausgabe der effzett.  Für das „Magazin aus dem Forschungszentrum Jülich“, das nun als Druckversion erhältlich ist,  habe ich die Titelgeschichte geschrieben.

Warum gibt es eigentlich das Universum?

Bei seiner Entstehung sind schließlich Materie und Antimaterie gleichzeitig entstanden – und hätten einander sofort vollständig vernichten müssen. Weshalb sie das nicht getan haben, ist eines der großen Rätsel der Physik. Jülich Forscher planen ein einzigartiges Experiment, um es zu lösen.

Cover effzett, ein Magazin der Forschungszentrums Jülich, Titelgeschichte: Frank Frick
Cover der aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazin effzett. Titelgeschichte: Frank Frick

Große Fragen der Physik

Alles beginnt mit dem „Big Bang“: Im Urknall dehnt sich die heiße, dichte Energiesuppe aus – expandiert mit Überlichtgeschwindigkeit, und nach wenigen Minuten bilden sich Wasserstoff, Helium und Spuren von Beryllium und Lithium. Unser Universum ist geboren. So jedenfalls stellen sich Physiker heute vor, was vor 13,8 Milliarden Jahren geschah. Aber es ist bis heute ein Rätsel. Denn schon in der ersten milliardstel Sekunde tobt ein gewaltiger Vernichtungskampf: Materie gegen Antimaterie. Zu jedem Materieteilchen entsteht ein Zwillingsteilchen aus Antimaterie – gleiche Eigenschaften, aber verschiedene Ladung. Treffen die beiden aufeinander, zerstrahlen sie zu reiner Energie. Übrig bleiben sollte nichts. Stattdessen bilden sich Planeten, Monde, Sonnensysteme – unser ganzer Kosmos. Er ist aufgebaut aus dem kümmerlichen Rest Materie, der die gegenseitige Vernichtung überstand. Aber woher stammt diese Materie? Sind Materie und Antimaterie doch nicht zu exakt gleich großen Teilen entstanden? Gibt es schon zu Beginn des Universums ein Ungleichgewicht? Eine gestörte Symmetrie?

Genau dieser Frage gehen Jülicher Forscher nach. Sie setzen dabei auf ein knapp zwei billionstel Millimeter großes Teilchen: das Proton, einen stabilen Baustein der Atomkerne mit positiver elektrischer Ladung. Aber was soll dieser Winzling über das Universum verraten? Grob vereinfacht sagen geltende physikalische Modelle: Was für das große Ganze gilt, muss sich auch im kleinsten Teilchen wiederfinden. Wenn also ein Überschuss an Materie Ursache für das Bestehen der Welt ist, muss sich diese Asymmetrie des Universums auch in den Eigenschaften der Elementarteilchen – etwa im Proton – wiederfinden. Ein Beweis für solch eine Asymmetrie im Proton wäre ein zwar winzig kleines, aber messbares Dipolmoment, also eine nichtsymmetrische Ladungsverteilung. Beim elektrischen Dipol sind nämlich elektrischer Minus- und Pluspol räumlich voneinander getrennt.„Die Existenz eines Dipols im Proton oder im Neutron konnte man bisher nicht nachweisen – womöglich aber nur deshalb, weil die bisherigen Messungen zu ungenau waren, um die winzigen und dicht beieinanderliegenden Pole gleichsam sichtbar zu machen“, so Prof. Hans Ströher, Direktor am Jülicher Institut für Kernphysik (IKP). „Denn wäre das Proton so groß wie die Erde, so läge das, was wir daran messen wollen, nur so weit auseinander, wie ein menschliches Haar dick ist.“

DIE SUCHE NACH DEM DIPOLMOMENT

Ströher und die Wissenschaftler der Jülich Aachen Research Alliance (JARA) haben in Zusammenarbeit mit internationalen Kollegen ein Konzept entwickelt, um die Genauigkeit der Dipolmessung an Elementarteilchen um mindestens das Tausendfache zu erhöhen. „Finden wir dann ein elektrisches Dipolmoment, so hätten wir damit auch eine Symmetrieverletzung nachgewiesen“, so Ströher. „Ist diese ausreichend groß, so würde sie den Materieüberschuss im Weltall erklären.“ Und damit auch unsere Existenz.

Grundlage des geplanten Experiments ist die Tatsache, dass Protonen einen sogenannten Spin besitzen. Diesen Spin kann man sich vereinfacht vorstellen wie einen kleinen Stabmagneten. Dessen Ausrichtung würde sich in einem elektrischen Feld verändern, wenn die Protonen ein elektrisches Dipolmoment besäßen. Um das zu messen, wollen die JARA-Forscher zunächst einen Protonenstrahl produzieren, bei dem sie die Spins aller Protonen in die gleiche Richtung zwingen. Oder fachsprachlich ausgedrückt: Sie wollen einen polarisierten Protonenstrahl erzeugen. Dafür könnten sie – nach entsprechendem Umbau – den vorhandenen Jülicher Teilchenbeschleuniger COSY nutzen.

Die Protonen werden dann in einen zweiten Ring geschickt, in dem elektrostatische Felder die Protonen auf Kurs halten und – falls ein Dipolmoment existiert – deren Spin beeinflussen. „Ein solcher elektrostatischer Speicherring existiert bislang weltweit noch nicht“, sagt Prof. Mei Bai, seit Dezember letzten Jahres Direktorin am IKP. Die Chance auf die Realisierung dieses Rings war es, die sie überzeugt hat, vom Brookhaven National Laboratory, New York, nach Jülich zu wechseln. Bei dem geplanten Ring handelt es sich um eine Art Laufbahn für Protonen, ähnlich der 400-Meter-Bahn in einem Leichtathletik-Stadion. Aber während die Athleten eine möglichst hohe Beschleunigung erreichen wollen, sollen sich die Protonen möglichst gleichförmig um die Laufbahn bewegen. Außerdem sollen die Teilchen ihre Polarisationsrichtung nur durch ein eventuelles elektrisches Dipolmoment drehen und nicht durch andere Faktoren.

EXPERIMENTELLES GEDULDSSPIEL

Nachdem sich die Protonen rund 15 Minuten im Speicherring bewegt haben, wollen die Forscher sie auf einen Materieblock lenken. Die Stoßprozesse, die in diesem Prellbock am Ziel (englisch: target) ablaufen, werden den Forschern verraten, ob sich die Ausrichtung der Spins während des Umlaufs verändert hat, ob es also das elektrische Dipolmoment der Protonen gibt und wie groß es gegebenenfalls ist. Das Rätsel ist aber auch ein Geduldsspiel: Die Wissenschaftler erwarten, dass sie dieses 15-minütige Experiment mindestens ein Jahr lang ununterbrochen wiederholen müssen. Dann hoffen sie, ausreichend aussagekräftige Messdaten zusammenzuhaben, um die Existenz des Universums zu erklären.


Auch bei einem weiteren Rätsel könnte der Nachweis eines elektrischen Dipolmoments von Elementarteilchen helfen: Bei der Suche nach der sogenannten Dunklen Materie. Darauf wies Physik-Nobelpreisträger Frank Wilczek letztes Jahr in einem offenen Brief hin. Dunkle Materie soll rund 25 Prozent unseres Universums ausmachen, ist aber mit optischen Teleskopen nicht zu entdecken. Und sie verrät sich auch nicht mit irgendwelchen elektromagnetischen Wellen jenseits des Lichts, beispielsweise mit Röntgenstrahlen. Trotz der Unsichtbarkeit der Dunklen Materie sind Astronomen von ihrer Existenz überzeugt, denn es gibt wichtige indirekte Hinweise darauf: Zum Beispiel die Geschwindigkeit, mit der sichtbare Sterne das Zentrum ihrer Galaxie umkreisen. Sie lässt sich nur
mit der Anziehung durch die Schwerkraft einer unsichtbaren Materie erklären.

Bei ihrer aufwendigen Suche nach der winzigen Ladungstrennung haben die JARA-Wissenschaftler internationale Unterstützung. Forscher aus zehn Ländern arbeiten unter ihrer Federführung zusammen in dem Großprojekt JEDI – in diesem Fall kurz für Jülich Electric Dipole Investigations und kein Hinweis auf übermenschliche oder ritterliche Fähigkeiten der Wissenschaftler. Obwohl auch ihre Forschung auf mindestens zwei der drei Säulen der Jedi-Ritter aus dem Science-Fiction-Universum von Star Wars beruht, nämlich Disziplin und Wissen. Beides nutzen die Forscher, um zunächst eine Designstudie für den neuartigen Speicherring zu erstellen, also seine genaue Form und Größe und die erforderlichen elektrostatischen Bauelemente zu entwerfen, sowie die nötigen Messinstrumente festzulegen. Außerdem werden JEDI-Partner in den nächsten Jahren mit COSY notwendige Vorversuche durchführen. Damit wollen sie einerseits das Messverfahren für das elektrische Dipolmoment des Protons optimieren, andererseits erstmals eine obere Grenze für den Wert dieses Dipolmoments bestimmen. Für die letztlich erforderliche Präzision benötigen sie dann den neuartigen zweiten Ring, der frühestens in fünf Jahren gebaut werden könnte. Die JARA-Forscher stehen also noch am Anfang eines langen Weges. Aber was sind schon ein bis zwei Jahrzehnte Forschung, wenn es darum geht, ein 13,8 Milliarden Jahre altes Rätsel zu lösen?

Dr. Frank Frick, Wissenschaftsjournalist

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