Digitalisierung der Landwirtschaft

Roboter, künstliche Intelligenz. Digitalisierung und umfassende Vernetzung sollen künftig eine Landwirtschaft ermöglichen, die weniger Ressourcen verbraucht und deutlich umweltfreundlicher ist als die heutige.     

Bauern, die mehr Nähe zum Tier und zur Pflanze haben; Tiere, die sich wohl fühlen; weniger Eintrag von Düngemitteln in Grundwasser und Gewässer; weniger Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, weniger Monokulturen: Wer wünscht sich das nicht? Doch den Preis für eine nachhaltigere, umweltfreundlichere Landwirtschaft – deutlich teurere Lebensmittel – können manche nicht zahlen und viele wollen es nicht. Ein Dilemma.

Farming 4.0

Doch es gibt eine Vision, die einen Ausweg aufzeigt. Sie ist das Gegenteil von jedem Zurück-zur-Natur-Szenario, sondern setzt auf High-Tech: eine umfassende Digitalisierung, das Internet der Dinge, Sensor-Netzwerke, Bodenroboter, Drohnen, Satelliten, automatisierte Bild- und Tonverarbeitung und künstliche Intelligenz (KI). „Vor rund hundert Jahren begann die Industrialisierung der Landwirtschaft – heute erleben wir den Beginn ihrer Digitalisierung“, stellte Achim Walter, Professor für Agrarwissenschaften an der Eidgenössischen Technischen Hochschule, bei den „Hülsenberger Gesprächen“ 2018 fest. Dieser Prozess würde von manchen als vierte Revolution der Landwirtschaft oder Landwirtschaft 4.0 bezeichnet und biete eine Fülle von Chancen und Risiken. Für den Deutschen Bauernverband „liegen die Chancen in: mehr Verbraucherschutz, mehr Transparenz, mehr Ressourcen- und Klimaschutz, mehr Tierwohl, weniger Bürokratie, Sharing Economy und mehr Akzeptanz.“

Wie digital ist die Landwirtschaft bereits?    

Der Digitalverband Bitkom behauptet in einer Pressemitteilung aus dem Frühjahr 2020, dass Digitalisierung schon heute „ein fester Bestandteil der Landwirtschaft“ sei. Das schließt er aus einer repräsentativen Umfrage von 500 deutschen Landwirten. Demnach setzen acht von zehn landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland digitale Technologien oder Anwendungen ein. „Wir kommen auf ähnliche Werte, wenn in der Umfrage eine Frage enthalten ist, ob der Landwirt Smartphone-Apps beispielsweise aus dem Bereich Agrarwetter einsetzt“, sagt Markus Gandorfer, Leiter der Arbeitsgruppe Digital Farming von der Bayrischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL). Streiche man diese Frage aus dem Fragebogen, sähe die Sache schon anders aus: Dann sänken die Werte für den Einsatz von digitalen Technologien in vielen Regionen wesentlich ab. „Auch in vielen Zeitschriften und bei Kongressen wird ein Bild von der Digitalisierung in der Landwirtschaft gezeichnet, dass der Realität vor Ort oftmals nicht entspricht“, ist Gandorfer überzeugt.

Das Spektrum der digitalen Technologien ist breit. Es reicht von Software für das Management von Hof und Herde, der Sensortechnik bei Tierhaltung und Pflanzenbau, über Methoden zur intelligenten Ausbringung von Dünger und Pflanzenschutzmitteln und zur vorausschauenden Wartung, bis hin zur Robotik, Drohnen und künstlicher Intelligenz. „Viele auf Digitalisierung beruhende Neuerungen der Landwirtschaft, die bald eine breite Anwendung finden werden, sind heute absehbar“, so Achim Walter. Doch noch ist die Landwirtschaft entfernt von dem, was Experten unter Farming 4.0 verstehen: die intelligente Vernetzung von Maschinen, Produkten, Abläufen und Menschen mit Hilfe der Informations- und Kommunikationstechnologie über die gesamte landwirtschaftliche Wertschöpfungskette hinweg,

Auf Kurs durch Digitalisierung

Zu den Hightech-Hits von heute gehören laut Bitkom-Umfrage GPS-gesteuerte Landmaschinen, die bereits von 45 Prozent der deutschen Landwirte genutzt werden – weitere 25 Prozent planen, es zu tun. Solche Landmaschinen bleiben bei schlechten Sichtverhältnissen auf Kurs und können selbst nachts gefahren werden. Dass sie exakt die Spur halten, kann genutzt werden, um eine möglichst kleine Feldfläche zu befahren oder überlappende Fahrwege zu vermeiden. Die Folgen sind eine geringere Bodenverdichtung und geringerer Treibstoff-Verbrauch, sowie ein gezielterer Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln.

32 Prozent der Landwirte setzen Technologien ein, mit denen Dünger oder Pflanzenschutzmittel intelligent und – so der Fachausdruck – teilflächenspezifisch ausgebracht werden können. Beispiel Stickstoffdüngung: Sensoren, die am Frontgestänge oder auf dem Dach von Traktoren angebracht werden, bestimmen aufgrund des von den Pflanzen reflektierten Lichts deren Nährstoffgehalt. Der Landwirt im Traktor kann dann auf einem Monitor erkennen, wie viel Stickstoffdünger er ausbringen muss. So verhindert er einerseits eine Überdüngung und somit etwa einen Eintrag von gesundheitsschädlichem Nitrat ins Grundwasser. Andererseits kann er den Nährstoffbedarf auch auf Teilflächen decken, auf denen die Pflanzen beispielsweise aufgrund besonderer Bodeneigenschaften besonders viel Dünger benötigen.

Doch obwohl Stickstoff-Sensoren seit rund 20 Jahren erhältlich sind und die Europäische Union Deutschland wegen der hohen Nitrat-Belastung im Grundwasser schon häufig gerügt hat, sind sie noch nicht so weit verbreitet, wie man es erwarten könnte. „Dafür gibt es mehrere Gründe, vor allem die hohen Kosten der Technik von 20 000 bis 40 000 Euro und die ausbaufähige Anwenderfreundlichkeit“, sagt Markus Gandorfer von der LfL. 

Düngen nach Satellitendaten

Inzwischen existieren Alternativangebote, die auf Satellitendaten beruhen. Entsprechend aufbereitete Karten geben den Landwirten Hinweise, auf welchen Flächen er in welcher Menge düngen sollte. „Der Landwirt zahlt für den Service, dass ein Dienstleister Karten bereithält. Dafür entfallen die Anschaffungskosten für ein Sensorsystem“, erläutert Gandorfer.           

Auf der Auswertung von Satellitenbildern basieren auch andere Dienste, die die Umwelt schonen und zugleich dem Landwirt helfen, Kosten zu sparen. So analysiert etwa das Start-up-Unternehmen heliopas.ai die Bilder mit Künstlicher Intelligenz. Daraus erstellt es Daten, mit deren Hilfe die Landwirte ihre Felder so bewässern können, dass sie optimale Erträge erzielen. Die Landwirte müssen dazu lediglich die App „Waterfox“ installieren und ihre Flächen in die App eintragen. 

Ganz weit oben auf der Hitliste der gegenwärtig meistgenutzten Technologien bringen es neben den GPS-gesteuerten Landmaschinen intelligente Fütterungssysteme. Laut der Bitkom-Umfrage setzen bereits 45 Prozent der Agrarbetriebe, die Nutztiere halten, solche Systeme ein. Beispiel Schweinemast: Ein Füllstandsensor kontrolliert, ob sich im Trog noch Futterbrei befindet. Erst wenn der Trog leer ist, teilt der Fütterungsautomat den Tieren bis zu achtmal am Tag frisches Futter zu. Auf diese Weise verschmutzt das Futter weniger und es gelangen weniger Krankheitskeime hinein. Zudem kann der Landwirt die Futteraufnahme engmaschig kontrollieren und erhält so einen wichtigen Hinweis auf die Gesundheit seiner Tiere.

Digitalisierung in der Viehzucht

Meist eher im Entwicklungsstadium sind Systeme, die noch einen Schritt weiter gehen. „Precision Livestock Farming“ (etwa: Präzisions-Viehhaltung) soll eine „kontinuierliche, vollautomatische Überwachung und Verbesserung des Tierwohls, des Ertrags und der Umweltauswirkungen“ ermöglichen, wie es Daniel Berckmans von der belgischen Universität Leuven formuliert. Er gehört zu den Entwicklern einer Methode, bei der die Geräusche im Schweinestell aufgenommen und permanent automatisch analysiert werden, um so möglichst frühzeitig Anzeichen für Atemwegserkrankungen der Tiere zu erkennen. Solche Erkrankungen, die mit Husten einhergehen, sind gerade in der Intensivhaltung von Schweinen häufig.

Schon seit 25 Jahren kommerziell erhältlich und technisch weit ausgereift sind automatisierte Melksysteme. Dass sie noch nicht in jedem Kuhstall zu finden sind, liegt vor allem an den hohen Investitionskosten: mindestens 140000 Euro für ein System, das für rund 60 Kühe ausreicht. Doch die Systeme sind auf dem Vormarsch: Laut dem Deutschen Bauernverband sind zwei von drei neuen Melkanlagen in der Landwirtschaft Melkroboter.

Betritt eine Kuh den Melkstand, so schließt sich hinter ihr ein Tor. Der Melkroboter erkennt per Laser, Ultraschall oder Wärmebildkamera das Euter der Kuh und setzt das Melkgeschirr an. Sinkt der Milchfluss unter einen Grenzwert, entlässt der Melkroboter die Kuh wieder. Der ganze Vorgang dauert weniger als zehn Minuten.

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