Die Hilfe der Chemieindustrie

Auch erschienen auf wissenschaft.de und focus.de.

Die chemische Industrie beteiligt sich daran, Methoden zu entwickeln, mit denen sich Weichmacher, Flammschutzmittel und Kosmetika im Körper nachweisen lassen. Dafür ist sie zu loben – obwohl es manchem erscheinen mag, als habe man die Mafia losgeschickt, um die Zahl illegaler Spielcasinos zu ermitteln.

 In der besten aller Welten haben wir kein Cadmium im Haar, keine Lösemittel im Urin und Babys keine Weichmacher im Blut. Doch die Realität sieht leider anders aus. Über die Luft, die Nahrung und über die Haut nehmen wir solche Substanzen zumindest in winzigen Mengen aus der Umwelt auf.

Diese Feststellung ruft zwei Reflexe hervor. Der erste: Mit dem Finger auf den Verursacher, die Chemieindustrie, zu zeigen. Er lässt außer Acht, dass die anderen Finger an der Hand auf uns selbst zeigen: Unser Wohlstandsalltag ist voller Materialien und Stoffe der chemischen Industrie. 

Eine Frage der Dosis

Der zweite Reflex: Wir rufen nach dem Staat, der überwachen soll, dass gesundheitsgefährdende Stoffe in der Umwelt nicht vorkommen. Das Problem dabei ist, dass die von Stoffen ausgehende Gesundheitsgefahr häufig von der Menge abhängt, die der Körper aufnimmt. Überspitzt formuliert: Nur, weil die einmalige Aufnahme von 150 Gramm Kochsalz beim Erwachsenen zum Tode führen kann, wird niemand ernsthaft Kochsalz mit einem Bann belegen wollen.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum es so wichtig ist, die tatsächlichen Chemikalien-Dosen zu kennen, die auf den Menschen im Körper einwirken. Gibt es Teile der Bevölkerung, die aufgrund ihrer Lebensumstände – Beruf, Wohnort, Ernährungsgewohnheiten – eine deutlich höhere Chemikalienbelastung haben als der durchschnittliche Deutsche? Greifen die Maßnahmen, die zum Schutz der Menschen vor einer bestimmten Chemikalie ergriffen wurden? Sammeln sich bestimmte Substanzen im Laufe des Lebens im Körper an? Fragen, die sich prinzipiell durch das sogenannte Human-Biomonitoring beantworten lassen, bei dem die Konzentration von Industriechemikalien im Körper direkt oder indirekt bestimmt wird. Indirekt etwa, indem im Urin Abbauprodukte der betreffenden Chemikalie gemessen werden.

Bis 2010 fehlten Methoden, um beispielsweise die Mengen des Weichmachers und Phtalat-Ersatzstoffes DINCH – enthalten unter anderem in Spielzeug und Lebensmittelfolien – des Flammschutzmittels HBCDD und des kosmetischen UV-Filters 4-MBC im Körper zuverlässig zu ermitteln. Dank einer Zusammenarbeit zwischen dem Verband der Chemischen Industrie (VCI), dem Bundesumweltministerium und dem Umweltbundesamt hat sich das inzwischen geändert – genau wie für elf weitere Stoffe. Der VCI hat die Entwicklung entsprechender Nachweismethoden finanziert, an Methoden für 17 weitere Stoffe lässt er arbeiten. Das ist gut so.

Kein Einfluss auf die Daten-Bewertung

Der VCI begründet sein Engagement mit dem Interesse an der Chemikaliensicherheit, von der auch die Akzeptanz von Chemieprodukten in der Gesellschaft abhänge. Ob es noch andere Motive gibt – etwa Geschäftsrisiken früh zu erkennen – ist dabei unerheblich. Wichtig ist dagegen: Der VCI darf keinen Einfluss darauf bekommen, wie die Daten von Bevölkerungsstudien bewertet werden und ob aus ihnen eine Gesundheitsgefährdung abgeleitet wird. Das Bundesumweltamt betont, dass dies gewährleistet ist – durch Kooperationsverträge auf der Basis „klar getrennter Verantwortlichkeiten“. Einige andere europäische Länder sind da der Industrie und den eigenen Behörden gegenüber misstrauischer als Deutschland. Der Preis dafür ist allerdings recht hoch: Der Steuerzahler muss die Methodenentwicklung alleine bezahlen. Und wahrscheinlich wird es – wenn auf die Kompetenz der Chemieindustrie nur eingeschränkt zugegriffen werden kann – länger dauern, bis neue Methoden anwendungsreif sind.

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