Das Speicher-Problem – Lösung in Sicht

Erschienen in: bild der wissenschaft plus Januar 2014, zum PDF: bdw_plus_Energiespeicher

Die Energiewende erfordert Speicher, mit denen das unstete Angebot erneuerbaren Stroms jederzeit mit der schwankenden Energienachfrage in Einklang gebracht werden kann.

Insel Pellworm in der Nordsee: Übers Jahr erzeugen dort die Windkraft- und Solaranlagen dreimal mehr Strom, als die knapp 1200 Einwohner und die zahlreichen Feriengäste verbrauchen. Bislang wird der überschüssige Strom zum Festland transportiert. Trotzdem gibt es windstille Zeiten, in denen Pellworm auf Energie vom Festland angewiesen ist. Diese Situation nimmt im Miniatur-Maßstab vorweg, was einmal ganz Deutschland bevorstehen könnte: Obwohl zu den meisten Zeiten mehr Strom aus erneuerbaren Energien als nötig produziert wird, kann der Bedarf manchmal nicht gedeckt werden – mit schweren Folgen für die Gesellschaft.

Auf Pellworm steht seit Herbst 2013 neben dem Hybridkraftwerk, bestehend aus Windrad und Solaranlagen, eine Lösung für das Problem bereit: Zwei verschiedenartige und recht große Energiespeicher, die mittels moderner Informationstechnologie „intelligent“ in das lokale Stromnetz eingebunden sind. Sie sollen die überschüssige Energie der wind- oder sonnenreichen Tage für die Zeiten verfügbar machen, an denen viel Strom verbraucht wird. Am 9. September wurde die „SmartRegion Pellworm“ offiziell eröffnet, eine „Musterregion für die Energiewelt der Zukunft“ (Begleitbroschüre). Gefördert vom Bund, erforschen in dieser Region das Fraunhofer-Anwendungszentrum Systemtechnik, der Stromkonzern e.on, die Schleswig-Holstein Netz AG und vier weitere Partner, wie effiziente Speicher mit erneuerbaren Energien optimal zusammenarbeiten.

Bei einem der beiden Speicher auf Pellworm handelt es sich um eine Redox-Flow-Batterie, untergebracht in vier Containern mit einem Gesamtvolumen von 230 Kubikmetern. Sie lässt sich mit einer Leistung von 200 Kilowatt maximal acht Stunden laden –dann ist die Batterie voll. 1600 Kilowattstunden Strom kann sie anschließend abgeben, wofür sie wiederum acht Stunden benötigt. Über diesen Zeitraum kann sie somit rund 200 Haushalte mit Strom versorgen.

Gebaut wurde die Redox-Flow-Batterie mit dem Namen CellCube von der Bielefelder Gildemeister AG. Das Unternehmen ist derzeit europaweit das einzige, das Redox-Flow-Batterien dieser Größe verkauft. „Doch der hohe Preis ermöglicht kaum wirtschaftliche Anwendungen“, urteilt Christian Dötsch, Bereichsleiter Energie des Oberhausener FraunhoferInstituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT). Wie teuer ein CellCube tatsächlich ist, darüber gibt Gildemeister nur eine vage Auskunft: Abhängig von der Größe des Speichers und kundenspezifischer Ausstattung bewege man sich zwischen 900 Euro und 1800 Euro pro Kilowattstunde Speichervermögen. Umgerechnet auf den Pellwormer CellCube hieße das: Er kostet zwischen 1,45 und 2,88 Millionen Euro.

Eine ganz besondere Batterie

Forscher des UMSICHT sowie des Fraunhofer-Instituts für Chemische Technologie (ICT), Pfinztal, arbeiten an kostengünstigeren Redox-Flow-Batterien. Dabei motiviert sie ein besonderes Merkmal der Redox-Flow-Speicher, durch das sich diese Speicher von allen anderen Batterietypen unterscheiden. Experte Dötsch beschreibt es so: „Leistung und Kapazität sind getrennt skalierbar.“ Mit anderen Worten: Ohne die Watt- oder Kilowatt-Zahl – die Leistung – der Redox-Flow-Batterien steigern zu müssen, kann ihr Speichervermögen erhöht werden. In dieser Hinsicht ähneln sie Pumpspeicherkraftwerken, die bei Energieüberschuss Wasser von einem tiefer – in einen höhergelegenen Stausee pumpen und bei erhöhter Energienachfrage wieder durch eine Turbine ablassen. Denn die Größe des Stausees ist entscheidend dafür, wie viel Energie gespeichert werden kann. Das Gefälle zwischen den Wasserreservoiren bestimmt wiederum, wie viel Strom eine Turbine in einer bestimmten Zeit höchstens produzieren kann.

Was bei den Pumpspeicherkraftwerken der Stausee ist, das sind bei den Redox-Flow-Batterien zwei verschiedenartige Flüssigkeiten – sogenannte Elektrolyten – in Vorratstanks. Diese Elektrolyten werden bei Bedarf durch kleine Reaktionskammern gepumpt, wo sie dann Elektronen aufnehmen oder abgeben – Vorgänge, die in der Fachsprache Reduktion und Oxidation heißen. In diesen Kammern wird somit Strom in energiereiche chemische Verbindungen umgewandelt oder umgekehrt. Die Redox-Flow-Technologie verspricht gegenüber herkömmlichen Batterien vor allem dann Kostenvorteile, wenn es um die Speicherung von verhältnismäßig großen Strommengen – beispielsweise 10 Megawattstunden – geht. „Prinzipiell ist es billiger, größere Tanks zu bauen, als die Anzahl der Batterien entsprechend zu erhöhen, wie es etwa bei Blei- oder Lithium-Ionen-Akkus nötig wäre“, sagt Dötsch.

Doch warum sein die derzeit erhältlichen Produkte wie CellCube dennoch so teuer? Das hat nach Ansicht des Fraunhofer-Experten zwei Gründe: zum einen die noch zu geringe Leistungsfähigkeit der elektrochemischen Kammern, die in der Praxis nebeneinander zu Stacks – deutsch: Stapel – aufgereiht werden. Und zum anderen das Fehlen von preisgünstigen Verfahren, um sie in höheren Stückzahlen zu fertigen. An diesen Stellschrauben drehen Fraunhofer-Forscher bereits erfolgreich. So haben sie dieses Jahr auf der Hannover-Messe einen 0,5 Quadratmeter großen Stack mit einer Leistung von 25 Kilowatt präsentiert. „Aus solchen Stacks lassen sich Redox-Flow-Batterien hoher Leistung viel einfacher und kostengünstiger aufbauen als aus den viel kleineren Stacks, die bisher am Markt verfügbar waren und die nur 2,3 Kilowatt liefern“, sagt Dötsch. Die Batterie-Stacks haben einen gegenüber herkömmlichen Exemplaren perfektionierten Aufbau. Beim Entwurf halfen den Wissenschaftler die Ergebnisse von Computersimulationen. Der Prototyp aus Oberhausen erreicht bei der Energiespeicherung einen Wirkungsgrad von 80 Prozent.

Am ICT in Pfinztal ist derweil das Projekt „RedoxWind“ angelaufen, bei dem FraunhoferForscher gemeinsam mit zwei Industrieunternehmen einen Redox-Flow-Speicher mit einer Kapazität von 20-Megawatt-Stunden in Kombination mit einem Windrad aufbauen. „Ein Ziel des Projektes ist es, innerhalb der nächsten Jahre eine automatisierte Produktionstechnik für die notwendigen Stacks zu entwickeln“, sagt Projektleiter Jens Tübke, zugleich Sprecher der Fraunhofer-Allianz Batterien.

Der Markt holt Schwung

Tübke räumt ein, dass bisher noch kein Markt für die Redox-Flow-Technologie und andere stationäre Energiespeicher besteht. Denn derzeit ist es für Kraftwerks- und Netzbetreiber billiger, zu anderen Mitteln zu greifen, um einen Ausgleich zwischen Stromangebot und Stromnachfrage zu schaffen: So fahren sie einerseits Gaskraftwerke während weniger Tage im Jahr hoch, um kurzzeitig erhöhten Strombedarf decken zu können. Andererseits drehen sie beispielsweise bei übergroßem Angebot Windkraftanlagen aus dem Wind heraus.

Mit zunehmender Nutzung erneuerbarer Energiequellen wird es aber künftig immer lohnender, auf Speicher anstatt auf solche Strategien zu setzen. Wann größere ortsfeste Speicher wie die Redox-Flow-Batterie tatsächlich zu einem nachgefragten Produkt werden, darüber gibt es allerdings von Marktforschern sehr unterschiedliche Prognosen. Das erstaunt schon deshalb nicht, weil gesetzliche Vorgaben, Steuern und Subventionen den Strommarkt erheblich beeinflussen – und die können sich schnell ändern. „Wir gehen aber davon aus, dass es schon in wenigen Jahren Geschäftsmodelle gibt, bei denen zum Beispiel Stadtwerke, Kommunen oder Industrieunternehmen Energiespeicher benutzen – und dann muss man technologisch und fertigungstechnisch bereit sein“, sagt Tübke.

Auf Pellworm kommt mit einer Lithium-Ionen-Batterie noch ein zweiter Energiespeicher-Typ zum Einsatz. Seine Ladeleistung ist mit 560 Kilowattstunden und ihre Entladeleistung mit 1100 Kilowattstunden deutlich höher als die der Redow-Flow-Batterie – bei allerdings geringerem Speichervermögen. In einer Stunde geladen und in einer halben Stunde entladen, soll die Lithium-Ionen-Batterie auf Pellworm vor allem dazu dienen, Energie kurzzeitig zu speichern. Doch bedeutsamer als für stationäre Speicher ist diese Technologie anderswo: „Für Elektroautos und Hybridfahrzeuge ist sie die derzeit beste verfügbare Batterieoption“, ist Tübke überzeugt. Zahlreiche Fraunhofer-Institute arbeiten in enger Kooperation mit der Industrie daran, diese Batterien weiter zu verbessern. Auf diese Weise helfen sie, ein Ziel zu erreichen, dass die Bundesregierung erstmals 2009 formuliert hat: Eine Million Elektroautos sollen 2020 auf Deutschlands Straßen rollen, um so den Klimaschutz voranzubringen.

Kostenschwund dank Schwefel

„Die auf Lithium basierte Batterietechnologie gilt als Türöffner zu den relevanten Märkten für die Elektromobilität der Zukunft“, schreiben Experten des Karlsruher Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI). Sie beurteilten und bewerteten die künftige Entwicklung und die Marktchancen verschiedener Technologien zur Elektromobilität bis 2013. Gemeint sind damit aber nicht nur Lithiumionen-Akkus, sondern auch Varianten davon, wie die Lithium-Schwefel-Batterie. Anders als die Lithium-Ionen-Technologie ist dieser Batterietyp noch in keinem Auto zu finden. Doch er ist vor allem aus zwei Gründen vielversprechend, meint Holger Althues vom Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik (IWS), Dresden: „Zum einen können sie bei gleichem Gewicht prinzipiell mehr als doppelt so viel Energie speichern wie Lithium-Ionen-Akkus, haben also mehr als die doppelte Energiedichte. Und zum anderen kommt Schwefel zum Einsatz, der viel billiger ist als herkömmliche Kathodenmaterialien.“ Beides sind klare Pluspunkte: Je höher die Energiedichte der Batterie, umso mehr Kilometer kann ein Elektroauto zurücklegen, ohne an eine Ladestation zu müssen. Und auf das Kathodenmaterial entfällt bei gängigen Lithiumionen-Zellen ein Viertel der Kosten – ein erheblicher Anteil.

Das Problem bei den Lithium-Schwefel-Batterien bislang: Schon nach wenigen Lade- und Entladevorgängen verlieren sie ihr volles Speichervermögen. „Man kam bei Tests kaum über 200 Zyklen hinaus. Wir haben es geschafft, die Lebensdauer der Zellen auf das Siebenfache zu erhöhen: auf 1400 Zyklen“, freut sich Althues. Erreicht haben er und sein Team das, indem sie an den beiden Polen der Batterie maßgeschneiderte Werkstoffe einsetzen. Für die Kathode verwenden die Wissenschaftler dabei ein Kohlenstoffmaterial, dessen Porengröße sie genau darauf angepasst haben, dass es besonders viel Schwefel aufnimmt. Kohlenstoff ist nötig, weil Schwefel alleine nicht leitfähig und somit ungeeignet als Kathode ist. Und die Anode des Dresdner Prototyps besteht nicht – wie sonst üblich – aus Lithium, sondern aus einem Silizium-Kohlenstoff-Material, das Lithium einlagert.

Doch mit Lithium-basierten Batterien – vor allem für Elektroautos – und Redox-Flow-Batterien – vor allem für ortsfeste Speicher – sind die Möglichkeiten nur angedeutet. So gibt es eine gänzlich andersartige Technologie, die geeignet scheint, zeitweilig überschüssigen Strom aus Wind- und Sonnenenergie in großem Maßstab über längere Zeit zu speichern: die Power-to-Gas-Technologie. Sie kann die gespeicherte Energie bei Bedarf sowohl für den Verkehr wie auch für Industrie und Haushalte nutzbar machen und ist somit besonders flexibel. Das Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) und das Zentrum für Sonnenenergie und Wasserstoffforschung Baden-Württemberg haben das Grundkonzept dafür entworfen: Zunächst wird mit Hilfe des überschüssigen Ökostroms aus Wasser elektrolytisch Wasserstoff erzeugt. Ein zweiter Prozessschritt wandelt den Wasserstoff mit Kohlendioxid in Methan um – den Hauptbestandteil von Erdgas. „Als Quelle für das benötigte Kohlendioxid sind Biogasanlagen gut geeignet“, sagt IWES-Wissenschaftler Bernd Krautkremer, der mit seinem Team das Zusammenspiel von Power-to-Gas- und Biogasanlagen optimiert.

Erdgas aus Windenergie

Eingespeist ins Erdgasnetz, das mit 220 Terrawattstunden thermischer Energie über riesige Speicherkapazitäten verfügt, lässt sich das Methan später rückverstromen. Es kann aber auch verwendet werden, um Erdgas-Autos anzutreiben. Das ist der Grund, warum die Audi AG im niedersächsischen Werlte die weltweit erste Power-to-Gas-Anlage im industriellen Maßstab betreibt. Eingeweiht im Juni dieses Jahres, kann sie jährlich Strom aus einem Windpark in drei Millionen Kubikmeter Methan umwandeln. Diese Menge reicht aus, um 1500 Audi A3 g-tron mit einer jährlichen Fahrleistung von jeweils 15000 Kilometern zu versorgen. Käufer dieses Automodells, das in Kürze auf den Markt kommt, können die sogenannte e-gas Tankkarte verwenden. Sie stellt sicher, dass die getankte Menge Methan durch die in Werlte produzierte Menge ausgeglichen wird. Die Deutsche Energie-Agentur (dena) hat eine Strategieplattform Power-to-Gas errichtet, „um den Einsatz und die Weiterentwicklung dieser Systemlösung zu unterstützen“ (dena- Positionspapier).

Zahlreiche Unternehmen und Institutionen haben sich ihr angeschlossen und Forschungsprojekte gestartet. Eine Modellregion ist beispielsweise das rheinland-pfälzische Morbach im Hunsrück. Bei dem Begriff „Modellregion“ denkt Christian Dötsch vom Fraunhofer-UMSICHT eher an Städte als an ländliche Gegenden. „Städte verfügen über ein enormes – indirektes – Potential zur Speicherung von Energie sowie zum direkten Ausgleich zwischen Energieangebot und Energienachfrage im lokalen Netz“, sagt er. Denn in vielen Gebäuden gibt es entsprechende Stellschrauben: Bei Stromüberangebot könnten Wärmepumpen anspringen. Die Wärme, die sie fördern, ließe sich speichern und zu einem späteren Zeitpunkt entnehmen. Bei einer Stromlücke dagegen könnten Blockheizkraftwerke im Keller ihre Arbeit aufnehmen. Eigentlich dienen sie hauptsächlich zur Wärmeerzeugung – Strom ist nur ein Nebenprodukt. Doch das ließe sich ändern. Für seltene Spitzen im Stromverbrauch könnten Notstromaggregate von Krankenhäusern und Rechenzentren kurzfristig Strom für die Allgemeinheit erzeugen. Intelligent verknüpft entsteht aus allen Komponenten ein Gesamt-Speicher. Um diesen „hybriden Stadtspeicher“ Realität werden zu lassen, entwickeln Wissenschaftler aus vier Fraunhofer-Instituten dezentrale elektrische und thermische Speicher sowie eine intelligente Regelungstechnik. In den Städten, in Morbach, in Werlte, auf Pellworm testet man Stromspeicher und erforscht ihre effiziente Integration ins Energiesystem. Das ist nötig, um die Energiewende erfolgreich zu gestalten ¬– und ganz Deutschland in Sachen Energie und Klimaschutz zu einer Modellregion für die Welt zu machen.

Dr. Frank Frick, Journalist für Energiethemen

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