Was heute aus Erdöl hergestellt wird, soll künftig in einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft aus Pflanzen oder Bioabfällen erzeugt werden. Jülicher Forscher haben untersucht, wie Pflanzen zu einem effizienten Rohstoff zur Produktion von Chemikalien werden.
Diesen Artikel hat der Wissenschaftsjournalist Frank Frick für den Jahresbericht 2017 des Forschungszentrums Jülich geschrieben, der sich hier herunterladen lässt.
Wogendes Getreide oder Kohl- und Spargelfelder haben viele vor Augen, wenn sie an Ackerbau denken. Doch vermutlich wird das Bild bald ergänzt werden – etwa durch Äcker, auf denen die aus Nordamerika stammende, bis zu fünf Meter hohe Virginiamalve „Sida hermaphrodita“ wächst. Warum aber sollten Landwirte Sida anbauen, eine Pflanze, die weder Nahrungsmittel liefert, noch als Tiernahrung taugt? Weil möglicherweise künftig Bioraffinerie-Betreiber die Ernte kaufen, um daraus Chemikalien zu gewinnen, die dann etwa zu Kunststoffen, Pflanzenschutzmitteln oder Medikamenten weiterverarbeitet werden.
Effizient zur Bioökonomie
Sida bringt dafür gute Eigenschaften mit: Von einer 10.000 Quadratmetern Fläche lassen sich bis zu 40.000 Kilogramm Triebe ernten. Eine Heuernte bringt nur ein Zehntel dieses Ertrags. Weil die Pflanze alle Jahre wieder sprießt, lassen sich Sida-Kulturen bis zu 30 Jahre lang nutzen, und brauchen dabei wenig Dünger und Wasser. Ein weiterer Pluspunkt: Sidablüten bieten Bienen reichlich Nahrung. „Die Vorteile kommen insbesondere dann zum Tragen, wenn aus der geernteten Pflanzenmasse letztlich ein hoher Anteil an wertvollen Basischemikalien gewonnen werden kann“, sagt Holger Klose vom Jülicher Institut für Bio- und Geowissenschaften (IBG). Genau das hat der Pflanzenwissenschaftler gemeinsam mit Kollegen aus Aachen und Jülich untersucht – bei Sida und vier anderen Pflanzenarten: Durchwachsene Silphie, Riesen-Chinaschilf, Riesen-Weizengras und Mais. „Wenn unsere Wirtschaft, die auf begrenzten Vorräten an Erdöl, Gas und Kohle beruht, zunehmend durch eine nachhaltige Bioökonomie abgelöst werden soll, müssen nachwachsende Rohstoffe möglichst effizient angebaut und genutzt werden“, sagt Prof. Ulrich Schurr, Direktor des Instituts für Pflanzenwissenschaften im IBG.
Chemisch gesehen besteht die Ernte bei den untersuchten Pflanzen hauptsächlich aus Lignocellulose. Dieser Verbund aus Cellulose, Hemicellulose und Lignin bildet das Gerüst der Pflanze. Die Papierindustrie setzt heiße Laugen und hohen Druck ein, um auf recht rabiate Weise Lignin und Hemicellulose von der Cellulose abzutrennen, die für Papier benötigt wird. „Allerdings ist das Biopolymer Lignin, das man auf diese Weise erhält, nur begrenzt verwertbar und wird zumeist verbrannt“, sagt Klose. Anders dagegen beim OrganoCat-Verfahren: Bei diesem Prozess, kommt die Lignocellulose in einen Reaktor, in dem sich neben einem Katalysator zwei nicht mischbare Flüssigkeiten befinden: 2-Methyltetrahydrofuran und Wasser. Unter relativ milden Bedingungen erhält man so neben Cellulose und Zuckern ein hochwertiges Lignin, das sich gut für die weitere chemische Verarbeitung eignet.
Prozesse optimal steuern
Die Forscher um Klose haben für alle fünf Arten den Anteil der Lignocellulose und deren chemische Zusammensetzung bestimmt. Nach der OrganoCat-Behandlung analysierten die Forscher die gewonnenen Stoffe. Die Ergebnisse präsentierten sie 2017 in der Fachzeitschrift Bioresource Technology. „Riesen-Weizengras – ursprünglich in Ungarn gezüchtet – liefert besonders viel hochwertiges Lignin“, bringt Klose ein Resultat auf den Punkt. Dennoch setzen die Forscher auch auf Sida und die anderen Rohstoffpflanzen. Denn erstens soll die Bioökonomie nicht zu Monokulturen führen. Zweitens macht sich die Industrie nicht gerne von einer einzigen Rohstoffquelle abhängig. Drittens beeinflusst die Nachfrage nach bestimmten Chemikalien, welche Quelle jeweils günstig ist.
„Um möglichst flexibel zu sein, muss man wissen, wie die Lignocellulose-Zusammensetzung einer Pflanzenart und die beim OrganoCat-Prozess erhaltenen Stoffe zusammenhängen. Dann könnte man Modelle entwickeln, wie man diese Prozesse optimal steuern kann“, so Klose. Die nächsten Schritte dahin unternehmen die Forscher im FocusLab AP3, in dem Jülich und die Universitäten Aachen, Bonn und Düsseldorf ihre Bioökonomie-Expertise zusammenführen. Ziel ist es, einen ersten Bioraffinerie-Prototypen unter der Verwendung des OrganoCat-Verfahrens zu bauen und dabei auch wirtschaftliche Aspekte zu untersuchen.