Persönliche Buchempfehlung

Der Wissenschaftsjournalist Frank Frick hat für die September-Ausgabe 2017 der Zeitschrift „bild der wissenschaft“ das Buch „Patient ohne Verfügung“ rezensiert. Er findet, es hat viele Leser verdient. Auch ihm selbst hat es bei einer Gewissensfrage geholfen.

Die Rezension ist auch hier zu finden.

Cover des Buches "Patient ohne Verfügung"

Mit allen verfügbaren Mitteln

Immer wieder werden in deutschen Krankenhäusern Patienten nutzlos therapiert. Der Mediziner Matthias Thöns untersucht, was dahinter steckt und sagt, was man dagegen tun kann.

Todkranke Krebspatienten und hochbetagte Herz- oder Nierenkranke, die mit nutzlosen Therapien gequält werden – der Narkose- und Palliativmediziner Matthias Thöns hat Erschütterndes zu berichten. „Insbesondere interessieren mich vergleichbare Erlebnisse in Ihrer Familie“, schreibt er auf der letzten Seite.

Erlauben Sie es mir, dem Rezensenten, folgende Geschichte beizusteuern: Meine 91-jährige, stark demente Mutter konnte sich nicht mehr verständlich äußern. Seit einem Jahr erkannte sie mich nicht. Eines Tages rief das Seniorenheim an: Meine Mutter verweigere Essen und Trinken. Nährinfusionen halfen nicht: Sie lag apathisch im Bett, stöhnte. Sollte sie ins Krankenhaus gebracht werden, um sie mit einer Magensonde künstlich zu ernähren? Eine hinzugezogene Ärztin riet ab: Das Krankenhaus würde ­– trotz anderslautender Patientenverfügung – meine Mutter mit allen verfügbaren Mitteln behandeln.

Auch Thöns hat diese Erfahrung gemacht. Und erklärt das vor allem mit finanziellen Motiven. So beziffert er in vielen Fußnoten, welchen Geldbetrag die Kliniken für die jeweilige Therapie bekommen.

Ich folgte dem Rat der Ärztin. Daraufhin sagte eine Pflegerin: „Wir können Ihre Mutter doch nicht einfach verhungern und verdursten lassen.“ Welcher Druck auf die Angehörigen ausgeübt wird – auch davon handelt Thöns`Buch. Die Lektüre hat mein Gewissen beruhigt. Denn der Mediziner stellt klar, dass Magensonden peinigen und das Leben nicht verlängern – es sei denn, die künstliche Ernährung geschieht wegen eines defekten Speisewegs. Die Menschen sterben eben nicht, weil sie nicht essen, sondern sie essen nicht, weil sie sterben.

Genauso wie Magensonden können Strahlen- und Chemotherapie, Dialyse oder Herzkatheder-OP sich zu einem Instrument des „Sterbeverlängerungskartells“ (Thöns) wandeln. Der Arzt schildert jedoch nicht nur das Schicksal der leidenden Menschen und die Gründe für Übertherapie. Er zeigt auch auf, wie man individuell und gesellschaftlich gegensteuern kann. Ein sehr lesenswertes Buch zu einem elementaren Thema, das oft verdrängt wird.

„Psychopillen“, speziell Antidepressiva, sind das Thema einer weitere Rezension für „bild der wissenschaft“. Klicke hier.

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